Notlandung auf dem Mars
Gerade noch mit einem Bein in Rom, hat es im Januar 1959 die Digedags und Sinus Tangentus, über Sahara und Mond, auf den Mars verschlagen. Diesen Eindruck vermittelt schon das Cover zu Heft 26. Eine Marslandschaft, wie sie die Mosaik-Macher wie wenige vor (und viele nach ihnen) sahen (Bildvergleiche folgen demnächst an dieser Stelle), die gar nicht so weit von der Wirklichkeit entfernt ist. Doch schon auf den ersten Seiten wird ein eher düsteres Bild gezeichnet. Das Raumschiff MY-3 ist äußerlich einem Schwarm Meteoriten ausgesetzt, und auch innen will keine Weltraum-Romantik aufkommen. Offiziers-Uniformen, die nur mit dem Schwarz des Weltalls harmonieren wollen, lassen schon jetzt kommende Konflikte erahnen. Im Laufe der Hefthandlung erleben wir dann im direktesten Sinne des Wortes "Schwarz-Weiß-Malerei". Sieht man mal vom "Wolf im Schafspelz", dem Spion und RS-X1-Kommandanten Peer Tyla ab, entpuppen sich die Schwarzen als heimtückisch, gewalttätig und kriegerisch. Die Männer in "Weiß" sind dagegen friedliebend und hilfsbereit - auch dem Feind gegenüber. Das Gleichnis der 2 Staaten auf dem Neos mit der gesamt-gesellschaftlichen Situation der Erde allgemein, und des gespalteten Deutschland im Besonderen ist heute nicht weniger offensichtlich als 1959. Eine Fülle von Details, auf die wir in diesem und den nächsten Heften noch zu sprechen kommen, lassen diesen Eindruck zur Gewissheit werden. Beruhigend ist, dass es bei den "Bösen" noch Differenzierungen gibt. Wie immer im Mosaik, sehr gut an der Hautfarbe zu erkennen (hier stehen sich guter Guter & guter Böser, sowie böser Guter & böser Böser gegenüber).
Unbestreitbar hatte die Sowjetunion, als Vertreter der irdischen Weiß-Uniformisten, ohne Rücksicht auf entscheidende Bereiche ihrer Volkswirtschaft, geballte Kraft in die friedliche und militärische Raketentechnik gesetzt. Nun, da sie auf dem Bereich der Weltraumforschung die Nase vorn hatte, war dies ein hervorragendes Mittel der Propaganda, die Überlegenheit des sozialistischen Systems zu "beweisen". Im Mosaik liest sich das dann so. Tatsächlich hatte auch die DDR hervorragende Wissenschaftler und Entwickler, und bemerkenswerte Patente durch Spionage, (welche in beide Richtungen funktionierte und die durch DDR-Geheimdienste in jedem Fall besser beherrscht wurde), zu verlieren. Doch die Ideologisierung der Wissenschaft und der Anspruch der Partei, "selbst die oberste wissenschaftliche Instanz in grundlegenden Fragen zu sein", bremste die Eigenentwicklungen und vor allem ihre Umsetzung in die Produktion spürbar ab. (Mosaikfreund ;-) Manfred von Ardenne, Gründer und Leiter des privaten Forschungsinstitutes »Manfred von Ardenne« für Elektronenphysik, Ionenphysik, Kernphysik und Übermikroskopie, notierte für Ministerpräsident Otto Grotewohl am 19. März 1957:
»I. Wir zersplittern unsere beschränkten Kräfte und Mittel zu sehr. Es besteht noch wenig Klarheit über diejenigen zu bildenden Schwerpunkte, welche mit Rücksicht auf unsere Wirtschaftsstruktur, d. h. unseren Spezialistenbestand, unsere Rohstofflage, unsere Produktionsstätten, unsere Energielage, östliche Hilfsmöglichkeiten und westliches Embargo, als wirklich günstig anzustreben sind.
II. Bei einem Wettrennen nach Weltniveau oder noch besser nach der Weltspitze, an dem wir bei Konzentration auf günstige Schwerpunktthemen mit viel Erfolgsaussichten teilnehmen können, fehlt bei uns noch viel zu oft das, was der Jäger beim Schießen ›Vorhaltung‹ nennt. Es wird nachentwickelt und nachgebaut, wo mit etwas mehr Initiative, Kenntnis der wissenschaftlichen Literatur, Erfindungsgabe usw. eigene neue Entwicklungen schöpferisch gestaltet werden können.«
[A. Malych, Geplante Wissenschaft. Eine Quellenedition zur DDR-Wissenschaftsgeschichte 1945-1961. Beiträge zur DDR-Wissenschaftsgeschichte Reihe A / Band 1, Akademische Verlagsanstalt, Leipzig 2003, 706 S.]
Die Digedags beziehen mit ihrem angeborenen Sinn für Gerechtigkeit Stellung und retten die RS-X1 vor feindlicher Übernahme und Peer Tyla muss erkennen, dass sich böse Taten (Entführung der Erdlinge) manchmal rächen.
Und was war damals tatsächlich im Weltraum los? Im Januar 1959 gelang es der UdSSR, die erste Sonde zum Mond zu schicken. »Lunik 1« näherte sich dem Erdtrabanten bis auf 5600 km. Zum Zeitpunkt der Arbeiten am Heft 26 konnte das Mosaik-Kollektiv jedoch erst die ersten Misserfolge der USA zur Kenntnis nehmen (Pioneer 0).
Seite 12 & Backcover: Der Bildungsbeitrag kommt in diesem Heft gleich im Doppelpack. Auf der Seite 12 werden die Gefahren aufgezeigt, denen sich Raumfahrer aussetzen, wenn sie ihren Planeten und die schützende Lufthülle verlassen. Nicht unbedingt im Mosaik-Stil, aber schließlich wird von Bhur Yham ja auch ein Neos-Bestseller vorgelegt. Wirkt auf mich aber trotzdem sehr witzig!
Lernten wir auf dem Rücktitel der Vorheftes die Planeten unseres Sonnensystems kennen, so finden wir im Januar 58 an dieser Stelle Informationen zur "Milchstraße" und anderen Sternensystemen.
Beilage zu Heft 26: Der Wattfraß. Eine langjährige Aktion, um der Verschwendung von Energie entgegenzuwirken. Am 15.1.1958 begann in der DDR eine dreitägige Aktion »Blitz contra Wattfraß«, mit der in Spitzenbelastungszeiten Strom gespart werden soll. Später griffen Kinderzeitschriften wie Frösi, oder auch die Beilage zu Mosaik, dieses Thema auf. Ich finde die Beilage 26 hervorragend gestaltet. Nur schade, dass ich sie nicht hatte, als ich meinen drei Kindern ständig in den Ohren lag, sie mögen das Flur-, Keller- und Toilettenlicht nicht nur ein- sondern auch ausschalten (obgleich es längst keine partiellen Stromabschaltungen oder Energieknappheit mehr gab). Nun waren solche Aktionen ja auch keine DDR-Erfindung. Auch das Aussehen der ausgewählten Symbolfiguren verbreiteten mit Absicht etwas Angst und Unsicherheit, um die Menschen zu anderem, "vernünftigen" Handeln anzuregen. Meist taten sie dies im Auftrag von Kampagnen der öffentlichen Aufklärungspropaganda: so warnte der populäre "Kohlenklau" den deutschen Bürger der 40er Jahre vor den Schädlingen der vielbeschworenen Volksgemeinschaft. Nach dem Krieg beerbten ihn der "Ratenschreck" im Westen (konnte keine Abbildung finden) und "Wattfraß" im Osten Deutschlands. Spuren dieser Aktion finden sich u.a. auch noch 1963. Auch "Hugo Leichtsinn", (eine gemeinsame Kampagne der "Volks- oder Verkehrspolizei" mit der damaligen "Deutschen Versicherungs- Anstalt"), fällt mir dazu noch ein. Kann mich gut daran entsinnen, auf meinem total verkehrsunsicheren Kinderfahrrad ein Abziehbild angebracht zu haben.
Was im Januar 1959 sonst noch so passierte:
Weitere Berliner Schlagzeilen des Monats:
- Die Sowjetunion verzichtet auf die Zahlung der Stationierungskosten für ihre in der DDR befindlichen Truppen.
- General Charles de Gaulle wird zum Staatspräsidenten der V. Französischen Republik proklamiert.
- Veröffentlichung eines sowjetischen Friedensvertragsentwurfs für Deutschland.
- Der Wettbewerb um den Titel Brigade der sozialistischen Arbeit beginnt.
- Walter Ulbricht begrüßt vor der Volkskammer einen sowjetischen Entwurf für einen Friedensvertrag und fordert eine Konföderation von BRD und DDR. (Die Bundesregierung weist die sowjetischen Forderungen zurück. In der Reaktion auf die sowjetische Initiative und im Blick auf die bevorstehende Außenministerkonferenz in Genf legen FDP und SPD im März eigene Deutschlandpläne vor.)
Wem danach ist, der kann jetzt zusammen mit den Digedags eine "Notlandung auf dem Mars" erleben! Raumanzüge für die Rettungsaktion sind in allen Größen vorrätig.
- Der Senator für Volksbildung erläßt eine neue »Ordnung der Reifeprüfung an den Oberschulen Wissenschaftlichen Zweiges (Gymnasien) im Lande Berlin«. Damit wurde die Ordnung der Reifeprüfung an den höheren Schulen Preußens vom 22. Juli 1926 aufgehoben.
- Anläßlich des 100. Geburtstages Kaiser Wilhelms II. treffen sich die Mitglieder der Familien Hohenzollern und Hohenzollern-Sigmaringen in der Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche im Hansa-Viertel zu einem Gedenkgottesdienst. (Es war nix wirklich Besseres los, in diesem Monat. )
Orlando strapaziert schonungslos unser Zwerchfell und im Archiv von Tangentus wird der Inhalt wie immer auf den Punkt gebracht.
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