Die Filme des Peter Greenaway (und warum es passieren kann, das man keinen davon...)

[Jovis]

...gesehen hat.

Von allen Regisseuren einer der hochgeschätztesten, gebildetsten und künstlerischsten. Jemand wie ich, der in Zeiten seiner eigenen Oberstufe mit gymnasialem Habitus die Nase über Komödien rümpfte und bei Terminator 1 beinahe doch vor Filmbeginn das Kino verlassen hätte (dann aber schwer begeistert und geläutert am Ende erst das Kino verließ), schrie im Grunde nach solchen Regisseuren. Ich habe später mit Rivette und Leos Carax den Kunstfilm tatsächlich ausgiebig gefeiert. Aber von Greenaway habe ich tatsächlich keinen einzigen ganz gesehen und bei "Der Dieb, der Koch, seine Frau und ihr Liebhaber" nach nicht mal der Hälfte erschöpft abgewunken. Während alle um mich herum sich jeden neuen Greenaway zum Pflichtprogramm erhoben wie ich später Almodovar. Ich fand Greenaway langweilig, bemüht, negativ und eher deprimierend.

Und doch bin ich gerade über eine DVD gestolpert mit frühen Werken, "The Early Films of Peter Greenaway Vol. 2" mit den Filmen "Vertical Features Remake" (1976) und "The Falls" (1978) und das hört sich fast so akademisch amüsant an, als wäre es für mich ein gefundenes Fressen.

Wer hält ein Plädoyer für Greenaway und wer kann was über diese beiden Filme sagen?

[Mick Baxter]

Ich kenn nur "Der Konrakt des Zeichners" (immerhin im Kino gesehen, was nur wenige der Nachgeborenen von sich behaupten können) und fand vor allem die technische Seite der Zeichnung interessant. Der Schluss ist wie bei "Blow up" etwas unbefriedigend, fand ich.

[franque]

VFR fand ich wie die anderen experimentellen Kurzfilme sehr interessant (haben üblicherweise auch Soundtracks von Nyman). THE FALLS ist ja eine Art Dokumentarfilm und hört sich vielversprechend an, habe ich aber nie gesehen.
Die Spielfilme habe ich bis einschließlich THE BABY OF MACON gesehen und die späteren dann auch ignoriert, weil es drohte, nervig zu werden; von höherem Interesse ist angeblich nochmal dieses Ding über Rembrandts "Nachtwache" mit Martin Freeman.*

THE DRAUGHTSMAN'S CONTRACT ist noch verhältnismäßig akademisch, wenn auch sehr sehenswert. Besonders zugänglich (und nicht zuletzt sexy) ist DROWNING BY NUMBERS ("Verschwörung der Frauen"). THE COOK, THE THIEF, HIS WIFE AND HER LOVER ist gewiss eine der größten Kunstäußerungen (nicht nur der filmischen) der Neunziger und völlig brillant und herzerfrischend kontrovers. Der war wohl als Allegorie auf den Niedergang der generellen Kultur in Thatcher-England gemeint; ich finde, er wirkt heute eher noch genialer als damals, und ist endlos zitierfähig. Vgl. dazu übrigens auch den leider kaum mehr irgendwo auftauchenden TITUS von Julie Taymor (1999), der dem Greenaway-Film einiges schuldet und ebenfalls ein denkwürdiges Mahnmal des Provokanten darstellt.

Greenaways eigener Shakespeare-Film PROSPERO'S BOOKS ist eine Galavorstellung für John Gielgud, der ihn mal als den liebsten seiner Filme bezeichnete. THE BABY OF MACON ist ja auch nicht von schlechten Eltern und dürfte in Woke-Kreisen nicht gerade auf Begeisterung stoßen.



*geändert, Ewen McGregor war in THE PILLOW BOOK

[Jovis]

Auf Titus Andronicus wurde ja übrigens auch in Exorzist 3 angespielt und ich habe den im Kopf seit du ihn hier erwähnt hattest. Das klingt für mich so, als sollte ich es mit "Verschwörung der Frauen" versuchen. Das ist eh mein Thema und wenn's dann auch noch sexy ist.

Und die frühen Filme notiere ich mir auch mal. Finde nämlich auch, dass das gut klingt.

[Karate Lothar]

Ja, lang ists her. Erst mit den Kumpels Terminator glotzen und dann ab rüber zum Gymi und den Streber Spacken eine Aufstreichen. Ach ja, schön war die Zeit...

Peter Greenaway?? Noch nie davon gehört.

Hab abba auch nur Quali.

Excusez moi.

:D :D

[frank1960]

Ich hab mal 'Der Bauch des Brian' gesehen. Da weiß Ich noch von, dass Dennehy seine Wampe gerieben hat, weil er was mit'm Magen hatte.

[Jovis]

Ja, über DEN Film bin ich auch gestolpert und habe dabei sehr viel über Kunst nachgedacht. Denn letztlich ist die Story vom "Bauch" eine jener unsäglichen Wahrheiten über das Leben, mit dem Das Kleine Fernsehspiel beim ZDF unsere Kindheit mit Traurigkeit geradezu gepflastert hat und uns dann noch vermittelte, uns Wahrheiten über das Leben zu vermitteln. Was Disney uns an Verlustangst noch nicht genug eingeimpft hat, da kam das ZDF und brachte uns Tod und Eiterblasen in grauen Zimmern ins Wohnzimmer. Und dann kommt der Greenaway und lässt diese Tragik menschlichen Lebens noch viel schöner aussehen, als das ZDF sich leisten konnte. Ich mag Dennehy, aber in dem Film hat er von mir 10 Minuten bekommmen, dann habe ich leicht angewidert abgeschaltet.

Ich war mal mit der Tochter eines Gynäkologen zusammen und wir haben uns dann immer Lernfilme über gynäkologische Untersuchungen angeguckt aus Papas luxuriösem Büroschrank. Das war deutlich geiler als der Bauch des Architekten.

Ich hatte doch erwähnt, dass ich Eskapist bin?

[franque]

Nicht zu vergessen die im Zeitraffer verwesenden Tierkadaver in A ZED & TWO NOUGHTS...


Bei THE COOK THE THIEF... haben mein Bruder und ich uns die ganze Zeit kaputt gelacht. Es war noch ein Freund von ihm dabei, der aber permanent nur rumgrummelte "Das find ich gar nicht lustig" etc. Ähnliches hatte ich auch im Kino bei dem berüchtigten belgischen Serialkiller-"Dokudrama" MANN BEISST HUND, wo insbesondere eine Frau, der das Gekicher im Publikum nicht passte, laut maulte "Das ist nicht lustig, ihr seid alle krank". Äh doch, der war schon lustig, da offenkundig eine Satire. Ok, eine kranke Satire, aber trotzdem...

[Jovis]

Haha. Sowas ist mir auch 2x im Kino passiert. Bei Heartbreak Ridge und Clockwork Orange waren Leute richtig angep... und haben alle für sch.... erklärt, die nicht entsetzt aus dem Kino gehen. Bei Koch, Dieb war ich aber der Typ, von dem du erzählst. 3 Freunde haben mir vorgeschwärmt und waren völlig begeistert. Nur ich saß dabei und habe denen die Lauine verdorben. Es ist ewig her, aber lustig fand ich da überhaupt gar nichts.

[Grubert]

Ich mag Greenaway, vom Kontrakt des Zeichners bis ... hmm, ja bis wann eigentlich, ... irgendwann in den 90ern wurden sie dann langweilig. Neben den großartigen Kontrakt waren auch noch der von 1 bis 100 durchnummerierte Drowning by Numbers und Ein Z und 2 Nullen oder auch später noch Die Bettlektüre sehr stark.

Den Koch, Dieb Film mochte ich nicht so, der war mir irgendwie zu schematisch, andererseits habe ich den auch ewig nicht mehr gesehen.

[Grubert]

THE FALLS ist ja eine Art Dokumentarfilm und hört sich vielversprechend an, habe ich aber nie gesehen.

Den habe ich auch nicht gesehen, aber ist das nicht eher eine Art fiktiver Dokumentarfilm, oder auch eine Parodie auf solche?

[frank1960]

Ich war mal mit der Tochter eines Gynäkologen zusammen und wir haben uns dann immer Lernfilme über gynäkologische Untersuchungen angeguckt aus Papas luxuriösem Büroschrank. Das war deutlich geiler als der Bauch des Architekten.

Schwein gehabt. Stell dir vor, der Vater wäre Proktologe gewesen.

[Jovis]

Schwein gehabt. Stell dir vor, der Vater wäre Proktologe gewesen.

Naja, ich MUSSTE mir das ja nicht angucken.

Danke, Grubert. Interessanterweise macht mir der Thread jetzt Lust, Greenaway zu gucken. Aber das war ja irgendwie auch Sinn der Sache.

[franque]

Ja,THE FALLS ist offenbar eine frühe Mockumentary (noch vor THIS IS SPINAL TAP) und enthält u.a. Ausschnitte aus den Kurzfilmen sowie Referenzen auf spätere. Wird immer als ziemlich gut beschrieben, aber wie gesagt, haven't seen it yet.

[Jovis]

THE FALLS hört sich super an. Vielleicht war der Greenaway ja in jungen Jahren auch etwas lockerer?`Ich bin ja GROSSER Almodovar-Fan und sehe auch hier, was das Alter aus Menschen machen kann. Parallele Mütter fand ich zwar wieder ziemlich gut, aber bei Leid und Herrlichkeit war ich ganz schön verzweifelt. Den könnte man mir gut in eine Greenaway-Box packen und ich würd's nicht merken.

[Grubert]

Ja, Almodovar ist großartig, ich habe mit meiner Freundin so nach und nach in den letzten 2 Jahren fast sein Gesamtwerk geschaut, und mehr genossen denn je. Auch interessant daß er schon eine Weile und etliche Filme gebraucht hat um wirklich gut zu werden, vor allem stilistisch, aber auch in der steten Weiterentwicklung seiner Themen. In den frühen 90er Jahren habe ich ihn übrigens eher nicht gemocht.

Greenaway dagegen war gleich voll da mit seinem ersten wirklichen Spielfilm.

[Jovis]

Ich habe Almodovar erst in den 2000ern kennengelernt. Unter sehr pikanten Umständen. Aber seitdem war eigentlich auch klar, dass ein neuer Almodovar Pflichtprogramm ist. Die einzige Filmreihe, die ich bei mir als Pflichtprogramm verbuche. Und ohne den grandiosen "Die Haut in der ich wohne" wäre mein Leben erheblich ärmer.

Wohlgemerkt: ich habe ja in den 80ern und 90ern in einer Videothek gearbeitet und kannte Almodovar durchaus. Im Grunde aber wusste ich gerade mal, worum es in Ata Me ging. Inhaltlich bin ich da nicht eingestiegen. Dazu brauchte es einen starken Impuls von außen, aber dann hat mich Almodovar ab dem Moment jedes Mal umgehauen. Und das ist halt bei Greenaway vielleicht das Problem: der versucht zu überzeugen. Nicht umzuhauen. Ich bin da mehr so der Masochist.