Noch auf dem Rückweg von der Veranstaltung begann ich, ein paar Gedanken sammeln. Da ich das ganze Wochenende jedoch mit dem Versuch zubrachte, Scheuch von der Rückkehr ins Forum zu überzeugen, gibt es erst jetzt eine ausführliche Zusammenfassung. Ich würde mich sehr über Kommentare freuen.
Kinderzeitschriften in der DDR – Tagung in Potsdam, 14.05.2004
Zunächst ist lobenswert zu erwähnen, dass es sich bei den acht stattgefundenen Beiträgen um ein sehr abwechslungsreiches Programm handelte, was man dem ursprünglichen Flyer noch nicht ansah. Das Publikum spaltete sich gleichermaßen in Alt und Jung wie in Zeitzeugen und Historiker (und ein paar reine Fans waren auch da). Zu den Konsequenzen dieser Frontenbildung später mehr.
Für mich persönlich war interessant, einige der ehemaligen Macher zu treffen, namentlich Dieter Wilkendorf, Wolfgang Altenburger und natürlich Lothar Dräger. Sie alle kennzeichnet eine subjektive, von den emotionalen Erfahrungen eines offensichtlich befriedigenden Arbeitslebens während der DDR-Zeit geprägte Sicht auf den Wert der Kinderzeitschriften für die Zielgruppe, die erwartungsgemäß eine weitgehende Ausblendung politisch-propagandistischer Anteile (gemessen an der ebenfalls verzerrten Rückschau im Licht der historischen Entwicklung seit 1989) nach sich zieht.
Der Vortragsmarathon wurde eröffnet und mit kritischen Nachfragen begleitet von Prof. Christoph Lüth, Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine und Systemische Pädagogik und Gastgeber der Veranstaltung. Erster Redner war Dr. Klaus Pecher, Initiator der Beschäftigung mit dem Thema, die vor zwei Jahren bereits eine Ausstellung und im vergangenen Jahr eine hitzige Podiumsdiskussion hervorgebracht hatte. Er referierte über die Rolle der Schulpost und der ABC-Zeitung, zwei bereits im Juni 1946 in der gleichen Redaktion gestarteten Kinderzeitschriften und ihre Rolle bei der Durchsetzung der Einheitsschule in der SBZ und später der DDR. Dabei verknüpfte er konkrete historische Daten mit den entsprechenden inhaltlichen Veränderungen der beiden Zeitschriften, würzte das ganze vorsichtig mit einer Prise subjektiver Erfahrungen als ehemaliger Leser und hatte damit einen souveränen Einstieg in die Thematik gegeben.
Der ursprünglich danach geplante Beitrag über die Darstellung der Pionierorganisation in der FRÖSI konnte wohl aus Termingründen der Referentin nicht stattfinden. Stattdessen gab es FRÖSI aus erster Hand, nämlich von Dieter Wilkendorf, der von 1953 bis 1967 Chefredakteur des Blattes war und es zu einer Qualität geführt hatte, die von seinen wesentlich linientreueren Nachfolgern Heimtraud Eichhorn und Wilfried Weidner nicht mehr erreicht wurde. Der betagte, agile und amüsant berichtende Wilkendorf hatte sich zwar eine Konzeption für seinen Beitrag zurecht gelegt, reihte aber in der Hauptsache Anekdoten und Begebenheiten aus seiner FRÖSI-Zeit aneinander, sprengte seinen zeitlichen Rahmen und regte ungewollt dazu an, dass es in der anschließenden Diskussion erstmalig um das Thema Zensur ging, die er für die FRÖSI abstritt, was Herrn Dr. Mark Lehmstedt dazu veranlasste, auf den Umstand hinzuweisen, dass das vom „Großen Bruder“ übernommene Chefredakteursprinzip beinhaltete, dass der Chefredakteur der Zensor ist. Das geht, so lange er (oder sie) zur Nomenklatura gehört (also mindestens in der SED ist) und damit die Parteilinie im Blatt vertritt, was für alle großen DDR-Presseerzeugnissen und also auch für die FRÖSI galt. Logisch also, dass Wilkendorf sich nicht zensiert „fühlte“, selbst jedoch durch seine chefredaktionelle Einflussnahme das Ausmaß der Parteilichkeit, Sozialismus- und Staatstreue im Blatt bestimmte. Noch einmal sei angemerkt – unter ihm war die FRÖSI dennoch abwechslungsreicher und weniger propagandistisch als jemals wieder zu DDR-Zeiten.
Vor der Mittagspause referierte Dr. René Börrnert, ehemaliger DDR-Bürger aus Braunschweig, über Ernst Thälmann als Prototyp der sozialistischen Persönlichkeit, und wie dieses in den Medien der DDR, darunter natürlich auch der Kinderpresse, propagiert wurde. Ein durchaus interessanter Beitrag, dies jedoch stärker unter gesellschafts- und sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkten, wie die nachfolgende Diskussion zeigte.
Die folgende Mittagspause mischte die Runde etwas auf, und ich hatte neben dem Vergnügen, Uhrviech und Reni persönlich kennen zu lernen (einen herzlichen Gruß von dieser Stelle an die beiden, wie auch alwin und Holger von der Neubrandenburger Museumsfront) auch Gelegenheit, ein paar Worte mit Wolfgang Altenburger, ehemals Chefredakteur und Autor von Atze und zeitweiser Chefredakteur vom „neuen“ Mosaik, und seiner Frau Christa zu wechseln. Während Altenburger, ein vom hohen Alter sichtlich gezeichneter Mann, durchaus zu Scherzen aufgelegt mit uns Jungvolk ins Gespräch kam, ließ er fast selbstironisch spüren, dass es ihm schwer fällt, sich an Details seiner damaligen Tätigkeit zu erinnern.
Gegen das allgemeine (und besonders auch mein) Mittagstief kämpfte dann Mareike Vorsatz mit der Vorstellung ihrer Magisterarbeit zum Heimatbild in der DDR und seiner Propagierung in der ABC-Zeitung. Zu Beginn hörten wir das seit Goodbye, Lenin auch in den USA bekannte Lied „Unsre Heimat“, dass rein musikalisch ein echtes Kleinod aus Hans Naumilkats Feder war. Fazit des Beitrags war, dass der Begriff an sich schon schlecht definierbar war, und dass er im sozialistischen Sinne natürlich auch funktionalisiert wurde, um die DDR-Identität in Abgrenzung zur BRD wie auch die kommunistische Identität in Abgrenzung zur imperialistischen zu kontrastieren und zu stärken. Dieter Wilkendorf wehrte sich überraschend heftig gegen bestimmte Aspekte, die man so extrem gar nicht verstehen konnte, und die Referentin hielt ganz wacker dagegen.
Ihr folgte Susanne Lost, freischaffende Journalistin aus Berlin, die 1975 als 21jährige Berufsanfängerin vom ein Jahr zuvor eingesetzten neuen Chefredakteur Axel Hempel in die Redaktion der TROMMEL geholt worden war, der sie später auch als stellvertretende Redakteurin vorstand und die sie schließlich mit abwickeln musste. Mit ähnlicher Begeisterung wie Wilkendorf schilderte sie den engen Leserkontakt, die familiäre Atmosphäre und die Freigeistigkeit des Arbeitens bei der TROMMEL in der Ära Hempel. Wenngleich man Einräumen muss, dass Hempel das Blatt aus einer erzpropagandistischen Phase herausgeführt hatte und zu einem durchaus lesenswerten Druckerzeugnis machte, ließen die utopischen Auflagenhöhen von mehreren hunderttausend Exemplaren pro Woche (gemessen an der Zielgruppengröße und der zwangsverordneten Abnahme und Verteilung an den Schulen) den entgegengesetzten Tenor in der anschließenden Diskussion deutlich an Schärfe zunehmen. Sie wurde eingeleitet durch Dr. Thomas Kramers Beobachtung, dass es ihm angesichts dieser Schilderung vorkäme, als habe er in einem anderen Land gelebt. Frau Lost relativierte ihre Euphorie danach mit einigen kritischen Statements, die das Publikum soweit aussöhnte, dass man sich gemeinsam in die Kaffeepause verabschiedete.
Richtig spannend sollte es jedoch beim ersten Beitrag der letzten Runde werden, in dem Dr. Mark Lehmstedt, Verleger aus Leipzig und seit vielen Jahren aus privatem Interesse in den Archiven auf der Suche nach Spuren der MOSAIK-Geschichte unterwegs, darüber berichtete, wie Ende der 50er Jahre der Versuch, Hannes Hegens Zeitschrift auf die Propaganda-Linie der sozialistischen Jugendorganisation zu bringen, auf ganzer Linie scheiterte. Spannend deshalb, weil Basis seiner Ausführungen der Entwurf eines veränderten MOSAIK war, mit gleichem Titel, 7 Seiten Digedags (damit der Wechsel nicht so aprupt kommt und die Fans nicht verprellt werden), mehreren Seiten illustrierter Geschichten um die Pioniergruppe Pfiffikus sowie einem Rest mit naturwissenschaftlich-aufklärerischen sowie bildungs- und erziehungspolistischen Inhalten. Diesen Entwurf hatte nämlich niemand anderes als der anwesende Dieter Wilkendorf, damals Chefredakteur der FRÖSI (mit der im Wechsel das „veränderte Heft“ dann hätte erscheinen sollen) unterschrieben (und vermutlich auch verfasst). Lehmstedt machte anhand der zugänglichen Zahlen und Fakten in einer stringenten und mit überzeugendem Verve vorgetragenen Argumentationskette deutlich, wie dieser Versuch scheitern musste, weil (1) Hegen sämtliche Rechte am Namen der Zeitschrift und den Digedags besaß und stets unmissverständlich deutlich machte, dass das MOSAIK entweder so erscheint, wie er es will, oder gar nicht, (2) der Verlag sich finanziell ins Knie geschossen hätte, denn der Profit aus MOSAIK finanziert eine breite Palette unprofitabler Erzeugnisse, und man schließlich (3) den Lesern nicht hätte erklären können, warum Hannes Hegens MOSAIK seit Nummer 38 in Westdeutschland erscheint.
Noch während des Vortrages bestritt Wilkendorf vehement, jemals mit einem solchen Dokument zu tun gehabt zu haben, was Lehmstedt nur mit dem schulterzuckenden Angebot, ihm gern eine Kopie zukommen zu lassen, beantwortete. Einem zeitlichen und emotionalen Ausufern beugte dann der moderierende Klaus Pecher vor.
Ich will dennoch ein paar Gedanken dazu loswerden. Auffällig an dieser Diskussion war nämlich, dass sich Wilkendorf über alle Maßen angegriffen fühlte, während Lehmstedt lediglich einen Fakt konstatiert hat, den er aufgrund der ihm vorliegenden Dokumente für wahr hält. Scheinbar ist eine objektive Auseinandersetzung um solche Themen nur schwer oder gar nicht möglich, denn (etwas salopp gesagt) hört „der Ossi“ zwischen den Zeilen stets den Vorwurf mit, „du hättest etwas dagegen unternehmen müssen“ oder „warum hast du mitgemacht“.
Selbst wenn (woran ich wenig Zweifel habe) Wilkendorf tatsächlich Verfasser dieses Schreibens war, so sollte man sich mal in seine Lage versetzen: Als Chefredakteur der seit einem halben Jahrzehnt erscheinenden FRÖSI experimentiert er gerade sehr erfolgreich damit, diese bunter und unterhaltsamer zu machen als die ABC-Zeitung und die TROMMEL, wofür er aus diesen Redaktionen heftig Flak fängt. Nun bekommt er den Auftrag, das scheinbar sehr erfolgreiche, aber immerhin gerade erst zwei Dutzend mal erschienene MOSAIK (damals also noch eher eine Fußnote und weit davon entfernt, Deutschlands langlebigster Comic zu werden) kreativ auf eine staatsnähere Linie zu bringen, und hegt mit dem beschriebenen Konzept vielleicht den Hintergedanken, die FRÖSI langfristig mit dem offensichtlich sehr publikumsfreundlichen Medium Comic anzureichern. Unter diesen Umständen hat er sich vermutlich wenig Gedanken um die potenzielle Tragweite seiner „Idee“ gemacht, und wäre sie materialisiert, würde heute niemand mehr vom MOSAIK reden. Im Rückblick jedoch fühlte er sich offensichtlich als Kollaborateur der staatlichen „Bedroher des MOSAIK“ an den Pranger gestellt und reagierte entsprechend heftig. Heftiger, als Lehmstedts Ausführungen angemessen, denn dieser hat ihn mit keiner Silbe zu kränken versucht. Mehr noch, Lehmstedt macht in seiner Definition des Begriffes Zensur deutlich, dass es sich seltener darum handelt, dass etwas verboten wird, nachdem es auf die Agenda gekommen ist, sondern dass bestimmte Dinge gar nicht erst auf die Agenda kommen, weil die Schere im Kopf bereits unbewusst gearbeitet hat.
Aber offensichtlich treffen in einer solchen Diskussion die Mentalitäten von „Siegern“ und „Besiegten“ (ich finde leider gerade kein passenderes sprachliches Bild, sorry; damit sind auch nicht unbedingt Ossis-Wessis gemeint, sondern auch „Geschichtsgestalter“/Zeitzeugen und „Geschichtsaufarbeiter“/Historiker) aufeinander und erzeugen Emotionen, die nur noch wenig mit den Inhalten des Austauschs zu tun haben. Und da das Recht-Haben üblicherweise die Seite der „Sieger“ favorisiert, sind die „Besiegten“ besonders dünnhäutig. Schade jedenfalls, dass die Veranstaltung an dieser Stelle eine etwas unschöne Note erhielt.
Wieder ins Lot bracht das gleich danach Dr. Thomas Kramer, indem er die Aufmerksamkeit gänzlich weg lenkte von herausgabepolitischen Ränkespielen hin zu den inhaltlichen Quellen des MOSAIK, die er im Gegensatz zu seinen gedruckten Werken in einer flotten, frei vorgetragenen Präsentation der Chronologie der Hefte folgend aneinander reihte.
Den Tag rundete Dr. Marianne Lüdecke, Germanistin aus Potsdam, mit einer Analyse der Veränderungen in der Auswahl und Beschneidung literarischer Beiträge in den Kinderzeitschriften ab. Professionell erarbeitet und vorgetragen, zeigte dieser Beitrag, dass eine Beschäftigung mit dem Thema durchaus auch sachlich-nüchtern vonstatten gehen kann. Leider war zu diesem Zeitpunkt der Zeitplan bereits so weit aus den Fugen, dass ich zum Zug musste und das Ende der Tagung nicht mehr miterleben konnte.
Ich fand es anregend (wie an der Länge dieses Postings vermutlich gut zu erkennen), leider etwas unterbesucht (wo war Ihr alle?) und hoffe und wünsche mir, dass es so was in Bälde wieder gäbe. Allen, die bis hierher gelesen haben, danke ich für Geduld und Aufmerksamkeit.
Guido
Lesezeichen