Für mich repräsentieren Hirotaka und Frau Nagasawa in gewisser Weise die alternativen Beziehungswege, die Tsugumi und Itsuki gehen könnten, wenn sie sich eben nicht füreinander entschieden, was die vermeintlich ,,bequemste" und einzig ,,richtige" Wegrichtung für alle wäre. Hirotaka ist im Gegensatz zu Itsuki ein vermeintlich ,,starker Beschützer" für Tsugumi, wie ihn sich gerade ihre Eltern für ihre Tochter wünschen. Besonders ihr Vater drückt ihr seit Beginn ihrer Kindheit diesen Stempel des ,,Nesthäkchens" auf, weil sie als jüngstes Kind immer von allen umsorgt wurde und ,,es ja gar nicht anders kennt", deswegen eben keinen ,,schwachen Partner" an ihrer Seiten haben sollte. Dieser Stempelaufdruck erschwert sich zusehends, nachdem für den Vater klar ist, dass er schwer krank ist, nicht mehr lange zu leben hat und eine schützende Rolle für Tsugumi nicht mehr ausfüllen könne.
Für Itsuki ist Hirotaka aber auch die Visualisierung seiner Ängste in der Beziehung mit Tsugumi, weil er eben nicht an einen Rollstuhl gebunden ist, er nicht so leicht gesundheitlich angeschlagen ist, keine zusätzliche Betreuung benötigt und weil er im Gegensatz zu ihm selbst Tsugumi gut tue, sie nicht überfordere, überbelaste etc.
Bei Frau Nagasawa ist es eigentlich genau dasselbe Prinzip wiederum für Tsugumi (Frau Nagasawa ist ausgebildete Pflegerin, sie hat Itsuki früher schon aus psychischen Fallgruben herausmanövriert und ,,sie ist ja eh viel besser für ihn geeignet als Tsugumi"), nur dass sich Itsukis Eltern bei Weitem nicht so überdominant verhalten und in seine Beziehung(en) einmischen wie das bei Tsugumi der Fall ist.
Aufgrund dessen, dass es Frau Nagasawa und Hirotaka gibt, werden die Schwierigkeiten, die Tsugumi und Itsuki zusammen überwinden müssen, um einen Beziehungskonsens miteinander finden zu können, sehr gut verdeutlicht. Es zeigt auch gut, dass beide ganz persönliche Baustellen haben, die sie erst einmal selbst aufarbeiten müssen, um als eigenständige Individuen wachsen zu können (unabhängig von Itsukis körperlicher Beeinträchtigung, die wird zwar von Tsugumis Eltern immer als ,,das Problem" bezeichnet, aber eigentlich ist das Problem, dass sie z. B. ihrer Tochter nichts zutrauen und ihr letztlich einen eigenen Entscheidungswillen gänzlich absprechen).
Und es ist bitter, aber auf jeden Fall realistisch, dass gerade der Druck von Außen nicht förderlich für die Beziehung von Tsugumi und Itsuki gewesen ist und beide dann irgendwann darunter eingebrochen sind, gerade weil er sehr wunde Angstpunkte bei beiden getroffen hat und einfach immens war. Gerade über Tsugumis Eltern habe ich mich richtig echauffiert beim Lesen, weil Tsugumi sich ja durchaus gegen sie wehrt und versucht, ihre eigenen Entscheidungen durchzuziehen und zu verteidigen (auf ihre Art, sie ist eben schon ein stillerer Charakter, der sich leicht selbst die Schuld gibt), jedoch ihre Eltern konstant die Schiene fahren, die Krankheit des Vaters ihr gegenüber zu instrumentalisieren, von wegen ,,eigentlich ist es ja deine Schuld, dass es deinem Vater so schlecht geht, du bringst uns noch alle ins Grab, weil du mit diesem behinderten Mann zusammen bist". Aha, aber wenn ihre Tochter einen Pflegekurs für den Vater macht, dann ist das ja keine Abhängigkeit oder Aufopferung, ,,kann sie ja ruhig mal machen", ist klar. Und nein, da hat mich dann dieser obligatorische Spruch der Mutter, ergo ,,Ach, Tsugumi eigentlich sollten wir das gar nicht von dir erwarten. Du hast ja auch ein eigenes Leben, jada jada", auch nicht besänftigt. Ich meine, sie kennt ihre Tochter und ihr ist absolut bewusst, das Tsugumi darauf so reagiert, wie sie reagiert hat, ergo ,,Ja, ich wollte es ja so und ihr habt keine Schuld an irgendetwas".
Ihre Eltern haben sie letztlich auch in diese Beziehung mit Hirotaka hineingedrängt, genauso wie Hirotaka das selbst so herbeigeführt hat.
Also, ich kann verstehen, dass viele hier Frau Nagasawa nicht mögen, aber ich finde Hirotaka ehrlich gesagt genauso ätzend-realistisch. ,,Eigentlich bin ich ja total egoistisch, weil ich nur an mich denke und ich sie für mich allein haben möchte." Ja, richtig, das bist du, genauso wie deine Mitintrigantin. Menschen sind kein Eigentum und haben einen eigenen Willen. Ist zwar sehr traurig, wenn die eigenen Gefühle nicht erwidert werden, aber so ist das Leben eben manchmal. Und dieser besitzergreifenden Form von Liebe, die Frau Nagasawa und Hirotaka propagieren, kann ich persönlich einfach nichts abgewinnen. Selbst wenn Hirotaka auch gute Dinge für Tsugumi getan hat, sie ist ihm dafür nichts schuldig. Demgegenüber finde ich das, was Tsugumi und Itsuki miteinander teilen, sehr schön und deswegen warte ich sehr geduldig und sehnsüchtig darauf, dass endlich das erlösende Kapitel kommt, das sie wieder zusammenbringen wird.
Keigo ist als Charakter übrigens sehr entlassend für mich als Leser aufgebaut: ,,Warum meint jeder zu wissen, was gut für mich ist und wie ich am besten glücklich zu sein habe?"
Jap, das fasst vor allem auch Tsugumis psychisches Dilemma perfekt zusammen.
Übrigens habe ich gerade noch gelesen, dass Shima z. B. hier ganz ähnliche Eindrücke beim Lesen hatte wie ich. Ich hatte auch öfters das Bedürfnis, einen Band des Manga an die Wand zu klatschen. Darüber muss ich gerade etwas schmunzeln.
Allerdings war ich dabei nie so frustriert, dass ich abbrechen wollte, vielleicht habe ich auch eine stillere, masochistische Ader. xD
Die Symbolik mit dem tränenförmigen Kettenanhänger, den Itsuki Tsugumi in Band 2 schenkt, ebenso, dass Itsuki Architekt und Tsugumi Innenraumdesignerin ist, hat mich sehr angesprochen. Sie sind wirklich ein tolles Team, der gemeinsame Moment auf dem Hügel in Band 6 war super schön.
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