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Thema: 029: Auf dem Neos verschollen

  1. #1
    Moderator Digedags Forum Avatar von Uhrviech
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    Talking 029: Auf dem Neos verschollen

    Auf dem Neos verschollen

    Im April 1959 haben die Mosaikleser eines der interessantesten Hefte in der Hand. Es vereint auf eine merkwürdig geniale Weise Zukunftsvisionen technischer und architektonischer Art, real existierende Stadt- und Verkehrsplanung (ohne Rücksicht auf Ländergrenzen und Gesellschaftsordnungen) mit dem Zeitgeist der 50er Jahre. Für Spannung sorgt der kriminelle Hintergrund unserer Geschichte. Der Enthüllungsjournalismus des Rasmus Rotter ist eine Hommage an den 1948 verstorbenen "Egon Erwin Kisch", einer meiner absoluten Favoriten im Bücherschrank. Und der Humor? Also der kommt nun wirklich nicht zu knapp! Angefangen bei der coolen Antwort auf Tantchens Frage: "Hast du auch die Handbremse angezogen?", auf die der liebe, aber genervte Neffe antwortet: "Nein, die Badehose, zum Kuckuck!", über die lustige Verkleidungsnummer mit Kaffeekränzchen und bösem Erwachen bis zu den Lachern, die man beim genauen Betrachten des Infrastruktursystems auf dem Neos kaum unterdrücken kann. Hier haben echte "Comicer" ihrem Affen gründlich Zucker gegeben.
    Natürlich erwartet euch in den nächsten Tagen noch mehr zu diesem - und den technischen Themen, doch zunächst einmal wollen wir uns ein bißchen mit der Handlung und seinen Parallelen in der DDR-Gesellschaft dieser Zeit beschäftigen - also noch nicht das ganze Pulver verschießen.
    Schon das Cover zeigt nicht nur einen etwas neidischen Blick auf westliche Metropolen (ich konnte leider keines Vergleichsbildes habhaft werden - auch nix passend-nächtliches aus WB, @pteroman), die man sich mit ihrer aufdringlichen Neon-Werbung scheinbar auch ganz gut für eine Gesellschaft der Zukunft vorstellen wollte. Konsum, Vergnügen, Tourismus & Reisen und die Begegnung von Menschen scheinen im Vordergrund zu stehen. Selbst Rasmus Rotter scheint vom Glimmer der Fassaden, hinter denen sich kaum eine sonderlich zukunftsweisende Architektur verbirgt, geblendet zu sein. Ein reges Treiben auch außerhalb der City. Die Automatik-Zentrale (warum auch immer sie so heißen möge) scheint mit ihrer Tortenform als Cafe und Hotel eine beliebte Oase im wohlorganisierten Verkehrsdschungel zu sein. Die schlimmsten amerikanischen Auswüchse im Automobil-Design haben sich durchgesetzt, aber, wie wir später sehen werden, auch zukunftsträchtige Entwicklungen der Verkehrssicherheit. Das trifft leider nicht auf den Diebstahlschutz zu - aber wer rechnet in einer fast perfekten Gesellschaft auch mit Dieben, Spionen und Entführern?

    Wer dagegen schon einmal einen recht umfangreichen Blick auf die Entwicklung einer sozialistischen Großstadt in der DDR werfen möchte, dem sei eine Internetseite empfohlen, die, abgesehen von ihrer überdimensionalen Größe, kaum Wünsche offen läßt: Die Deutsche Fotothek in der in der Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden. Von den ca. 2 Mio. Aufnahmen dieser Sammlung sind tausende Architekturfotografien der Stadt Dresden online - und mehrfach vergrößerbar. Dresden ist insofern sehr interessant, da die Stadt im 2 Weltkrieg fast vollständig zerstört wurde. An vielen Stellen, später auch beim Neubau der Prager Straße, wird deutlich, wie nach dem Tod Stalins die architektonische Phase des nationalen Bauens zögernd beendet wurde und Städteplaner wie auch Architekten den Blick unverholen gen Westen richteten. Dabei wurden Traditionen nicht verschwiegen und alte Funktionsmischungen der Vorkriegsbebauung wieder aufgenommen. Die Großbaublöcke in Plattenbauweise öffneten sich ausschließlich nach innen, zum Fußgänger hin, während der Verkehr in breiten Bändern umgeleitet wurde. Vergleichbar auch mit Konzepten der Rotterdamer Lijnbaan (1952 gebaute, erste Fußgängerzone der Niederlande).

    Ganz nebenbei stößt uns Rasmus Rotter, der die Digedags aus den Klauen der Mac.Gipsfiguren befreit, auf die stark politisch gefärbte Debatte um die Kunst der Moderne in den 50er Jahren. Allerdings bin ich gerne bereit zuzugeben, daß ich selbst auch nie einen wirklichen Draht zu modernen Kunstrichtungen wie Expressionismus, Kubismus, abstrakte Kunst oder Pop Art hatte (allerdings auch nicht zum sogenannten "sozialistischen Realismus"). Indes wissen wir aber nun, daß solche Künstler ihren Lebensunterhalt weniger durch die Schaffung verkäuflicher Werke als mehr durch kriminelle Machenschaften wie Spionage bestreiten. In diesem Zusammenhang ist es vielleicht bemerkenswert, daß im Erscheinungsmonat April 1959 die 1. Bitterfelder Konferenz über kulturpolitische Probleme unter dem Motto: "Greif zur Feder, Kumpel! Die sozialistische Nationalkultur braucht Dich!" abgehalten wurde (Beginn einer kulturpolitischen Phase, die auch als "Bitterfelder Weg" bezeichnet wird). Die Schriftsteller wurden aufgefordert, in die Betriebe zu gehen, um dort die Situation der Arbeiterklasse praktisch kennenzulernen, um dann ihre Erlebnisse und Erfahrungen in einem sozialistisch-realistischen Werk Ausdruck zu verleihen. Die Arbeiter wurden aufgefordert, in " Brigadetagebüchern" ihren mehr oder weniger heroischen Alltag zu beschreiben.


    Beilage zum Heft 29: Wieder eine Geschichte aus dem Alltag Junger Pioniere in der Tradition voran gegangener Beilagen. Diesmal geht es um Fritz, den Neuen in der Klasse, der niemals seine Hausaufgaben macht und immer zu spät kommt. Schnell wird er zum Sorgenkind seines Klassenlehrers, schnell sind Vorurteile auch bei den Mitschülern aufgebaut, die ihn des Diebstahls verdächtigen. Aber die besten Jungpioniere spielen nach der Schule Detektiv. Sie finden heraus, daß Fritz kein Dieb sein kann und ihm wirklich die Zeit zum Lernen fehlt, weil er auf seinen kleinen Bruder Kurt achtgeben muß. Spät abends geht er dazu noch in die "Lehre?" zum Monteur! Nachdem die Mutter einwilligte, Kurt in den Kindergarten zu bringen, hat Fritz genügend Zeit zum Lernen und wird es nun nach Ansicht seines Klassenleiters noch weit bringen. Er habe gute Aussichten, später Ingenieur zu werden. Abgründe tunen sich für mich auf! Zum Glück hatte ich andere Lehrer, Mitschüler und Eltern! Wird hier etwa (unbezahlte?) Kinderarbeit hochgelobt? Genügten in den 50er Jahren Vaters Beziehungen als Tankwart nicht aus, um eine Lehrstelle zu bekommen? Zugegeben, auch ich habe mal im Betrieb meiner Eltern das Taschengeld aufgebessert. Das war aber nicht, um dort lernen zu können - und es war in den Ferien! Und daß die Zicke Sabine nun auch noch Unterstützung für ihre fiesen Anschuldigungen erhält - ist doch das Letzte! Na ja, die Nachschnüffelei (besonnen, aber indirekt vom Lehrer gefordert) hat ja noch was Gutes gebracht, denn als Babysitter ist Fritz nämlich ne Niete. Ach ja, wie hilfreich kann doch ein funktionierendes Pionierleben sein - bei uns gab es immer nur Lacher in der Klasse, wenn jemand permanent zu spät zum Unterricht kam.




    Was im April 1959 sonst noch so passierte:
    • Premiere des bundesdeutschen Spielfilms "Hunde, wollt ihr ewig leben!" von Frank Wisbar (1902-1967), der eine Aufarbeitung der Schlacht um Stalingrad 1942/43 zum Inhalt hat.
    • Bundeskanzler Konrad Adenauer gibt seine Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten bekannt. Im Juni erklärt er allerdings seinen Verzicht auf die Kandidatur, und Heinrich Lübke wird als Kandidat der CDU/CSU aufgestellt.
      Otto Grotewohl bietet Bundeskanzler Adenauer Vorverhandlungen über einen Friedensvertrag an.
    • In Dresden werden fünf Studenten, die gegen die politischen Verhältnisse in der DDR protestiert haben, zu Zuchthausstrafen bis zu zehn Jahren verurteilt.
    • In der Essener Grugahalle findet das erste internationale Jazz-Festival an Rhein und Ruhr, die "Essener Jazztage", statt.
    • In Frankfurt/Main wird das Haus der "Deutschen Bibliothek" eingeweiht, das bis zur Wiedervereinigung Deutschlands die Aufgabe einer Nationalbibliothek erfüllen soll.
    • Uraufführung des Dramas "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" von Bertolt Brecht in der Inszenierung von Gustaf Gründgens im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg.

    Weitere Berliner Schlagzeilen des Monats:
    • Auf dem Gelände der 1931 erbauten, in der »Reichskristallnacht« und später durch Bomben zerstörten, Synagoge wird am Fraenkelufer 10-16 (Kreuzberg) die neuerbaute Synagoge feierlich eingeweiht.
    • Eine Delegiertenkonferenz der SED der Westberliner Bezirke bildet eine Leitung der Westberliner Parteiorganisation der SED und wählt Gerhard Danelius zum Sekretär.


    Wer Zeit und Lust dazu hat, ist nunmehr eingeladen, sich der Suche nach den Digedags anzuschließen. Noch sind sie "Auf dem Neos verschollen"! Interessant könnte es auch für Städteplaner, Architekten, Designer und Kunstliebhaber werden.

    Bitte nicht vergessen: Zur Einstimmung gibt es die witzige Zusammenfassung des ersten Neos-Kontaktes auf der Homepage von Orlando. Im Archiv von Tangentus wird der Inhalt wie immer auf den Punkt gebracht.
    Geändert von Uhrviech (19.09.2004 um 14:48 Uhr)

  2. #2
    Moderator Leipziger Comicgarten Forum Avatar von thowiLEIPZIG
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    das heft war neben "die neue sonne" stets mein lieblingsheft. wunderbare mischung zwischen kaffeekränzchen- klamauk und science fiction, präsentiert als pulp- krimi. das cover wunderbar, allerdings assoziierte ich nie den ku`damm damit sondern lebte in der vorstellung, in einer nicht allzu fernen zukunft auch auf solchen promenaden wandeln zu dürfen (hat sich ja auch bewahrheitet ). vielleicht kann ja gbg mal sein diorama zu diesem panel online präsentieren?!?!?!?!?! wir hatten es in unserer landsberger ausstellung als leihgabe von ihm gezeigt.

  3. #3
    Mitglied Avatar von Udo Swamp
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    Auch ich fand sehr interessant die futuristische Archtektur sowie die utoischen Fahrzeuge.
    Wenn ich mir heute die Zukunft schon etwas anders vorstelle, damals war es schon eine Vision ......

  4. #4
    Mitglied Avatar von gbg
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    Zitat Zitat von ali@thowi
    das heft war neben "die neue sonne" stets mein lieblingsheft. wunderbare mischung zwischen kaffeekränzchen- klamauk und science fiction, präsentiert als pulp- krimi. das cover wunderbar, allerdings assoziierte ich nie den ku`damm damit sondern lebte in der vorstellung, in einer nicht allzu fernen zukunft auch auf solchen promenaden wandeln zu dürfen (hat sich ja auch bewahrheitet ). vielleicht kann ja gbg mal sein diorama zu diesem panel online präsentieren?!?!?!?!?! wir hatten es in unserer landsberger ausstellung als leihgabe von ihm gezeigt.
    hier noch mal die bilder beim draufklicken, kann man auch noch mal die ca 1,2 mb große pdf-datei mit den neos bildern laden oder bei "MOSAIK" reinschauen

  5. #5
    Mitglied Avatar von Möhrenfelder
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    In den 60ern war es ein beliebtes Thema im Zeichenunterricht die sozialistische Zukunft im Jahr 2000 zu zeichnen. Ich hab dabei voll bei diesem Heft abgekupfert. Und mal ehrlich, irgendwie nur ohne Sozialismus ist ja einiges so ähnlich geworden...im Jahr 2000. Unser Musiklehrer hatte eine Eigenkomposition, die hieß "Das Jahr 2000 naht". Ich erinnere mich bei den Bildern mit Grausen daran

  6. #6
    Moderator Leipziger Comicgarten Forum Avatar von thowiLEIPZIG
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    dito. auf alex online immer mal gucken, da erscheint dann auch irgendwann in der "HISTORY"- rubrik mein artikel "der zukunft entgegen", das war auch mein ausgangspunkt: der zeichenunterricht, "das leben im jahr 2000", meine mosaik- geprägten visionen...

    @gbg: danke für den schnellen service!

    thowi

  7. #7
    Mitglied Avatar von gbg
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    muss mal werbung machen, dient ja auch dem guten zweck, das forum zu beleben:
    wer noch ein buch "auf dem weg zu fernen welten" benötigt, um hier richtig mitzumachen, einfach hier schauen Danke

  8. #8
    Moderator Digedags Forum Avatar von Uhrviech
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    Eine andere Buchempfehlung, hier zwar ohne eBay-Link, ist das schon des öfteren zitierte Jugendweihebuch "Unsere Welt von morgen". Eine wirklich spannende und wissenschaftlich visionäre Lektüre, bei der natürlich auch die kommunistische Propaganda nicht zu kurz kommt (der Blick des geübten DDR-Lesers überfliegt diese Passagen automatisch ). Es beginnt mit den Worten:

    Es war der 10. September des Jahres 2000. In einem merkwürdig eingerichteten Zimmer eines stattlichen Wohnhauses mitten in der nordamerikanischen Stadt Boston rieb sich ein junger Mann namens Julian West, soeben aus todesähnlichem Schlaf erwacht, die Augen. Das tat er keineswegs aus der an sich naheliegenden Absicht heraus, die letzten Schleier des Schlafs fortzuwischen, sondern weil diese seine Augen nicht fassen wollten, was sie sahen. Maßloses Erstaunen beherrschte ihn ganz und gar.
    Kein Wunder! Er hatte nicht weniger als 113 Jahre in einem verschütteten Keller seines 1887 abgebrannten Hauses wie ein Scheintoter gelegen. Die Welt, in die er sich nun versetzt sah, war so völlig anders geworden, daß er schon optisch Mühe hatte, sie wiederzuerkennen.
    ..... Er war in eine konsequent durchkonstruierte kommunistische Welt geraten, in der eine unvorstellbare Fülle von Waren und Dienstleistungen zum allgemeinem Nutzen zur Verfügung stand und wo alle Fragen vollkommen vernünftig geregelt waren."

    Vieles, was in den nachfolgenden 480 Seiten zu sehen und zu lesen ist, wurde verwirklicht (ob erstrebenswert oder nicht). Andere Konzepte finden sich nur in Teilen in der Realität wieder oder die Entwicklung ging ganz andere Wege (wie z. B. Antrieb und Telematik im Straßenverkehr). Teilweise waren Projekte für einen einzelnen Staat im Rahmen seiner Wirtschaftspolitik und unter Berücksichtigung der weltpolitischen Lage wirklich nur als "utopisch" zu betrachten. Eine Gesellschaft funktioniert nun mal nicht allein durch kühne Pläne und schöne Worte. Heute wie damals ist das Volk und seine "Obrigkeit" nicht in der Lage oder willens, sich auf die tatsächlich notwendigen Aufgaben zu konzentrieren. Geschichte wiederholt sich, jedoch nicht zwangsläufig immer auf höherem Niveau. Wie in einem schlechten Science-Fiction-Film galoppiert der technische Fortschritt immer vor der moralischen Reife der Menschheit her.

    Unsere Suche nach 50er Visionen für das Jahr 2000 (oder vielleicht auch nur bis zum Jahr 1975 - für die hobby-Freunde ;-) beginnen wir hier.
    Geändert von Uhrviech (01.09.2004 um 11:37 Uhr) Grund: Ein fehlendes "nicht" ist nicht unwichtig!

  9. #9
    Moderator Digedags Forum Avatar von Uhrviech
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    Ein technisch sehr interessantes Thema in Mosaik 29 ist die automatische Verkehrsführung. Auch hier sei zunächst der bereits bekannte Vergleich zwischen dem Mosaik und einem Artikel Zeitschift "hobby" vorangeschoben.

  10. #10
    Moderator Avatar von Bhur
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    Das Heft bietet eine wirklich komische Mischung aus Zukunftsvisionen und fünfziger Jahre Mief.
    Die Straßenszene auf dem Titel könnte eine reale Sraße in Amerika darstellen, ist also schon nicht mal mehr Zukunft sondern bestenfalls "modern. Mit dem Heft macht man den ersten Schritt in die fünfziger Jahre Realität der DDR, auch wenn man es in dem Heft noch nicht ganz so deutlich merkt. Das liegt wohl daran, dass auch auf dem Neos die Hauptstadt moderner war als der Rest des Landes. (Ich erinnere mich noch gut an meine Berlin Besuche zu DDR Zeiten - ein wahres Bananen-und H-Milch-Schlaraffenland ) Ein Indiz für eine unterschiedliche Entwicklung von Stadt und Dorf liefert dieses Bild.

    In so einem Auto mit Plexiglaskuppel möchte sicherlich niemand im Hochsommer sitzen, oder doch? Ansonsten hielt man sich stark an die amerikanische Automode, die sich an deutschen Automobilen dieser Zeit nur sehr zaghaft findet. Diese Mode wurde in den USA mit dem Ford Edsel in ein Extrem getrieben, das schlußendlich niemand mehr kaufen wollte - Ford ist daran beinahe pleite gegangen. So schnell kann sich eine Mode ändern, so sahen auch Mosaikschen Zukunftsvisionen sehr bald danach schon altmodisch aus. Aber eigentlich glaube ich nicht, dass sich jemand die Zukunft jemals so vorgestellt hat.

    Der Name des Reporters weißt nicht nur auf Egon Erwin Kisch, sondern meiner Meinung nach auch auf (E)rasmus (von) Rotter(dam), den größten Humanisten des 16. Jahrhunderts.

    Es gab hier auch schon einmal die Diskussion, ob Mac Gips in diesem Heft zu sehen ist und ob er der Künstlerkerl mit dem gelben Schal ist, leider finde ich das Thema nicht mehr. Wer hilft?

    Hiermit hat man die zeitgenössische Kunst vielleicht augenzwinkernd karikiert, allerdings ohne diese abzuwerten. Ich denke Hannes Hegen und Kollektiv haben und hatten genug Kunstverständnis um auch moderne Sachen zu würdigen. Die Idee vom brotlosen Künstler der spionioniert um zu verdienen, ist da eher dem spionphobistischen Zeitgeist geschuldet. Darüberhinaus eigenete sich diese Episode für einen brillianten Wort-Bild-Witz zur Bildhauerei.

    Der Einschienenzug auf der Rückseite erinnert mich stark an den Transrapid, auch wenn das Antriebskonzept ein anderes ist. "Schneller und Billiger als alle bisherigen Banhnanlagen ist diese Einschienenbahn zu errichten." Schön wärs, dann könnte man schon längst von Hamburg nach Berlin sausen und umgekehrt.

    Prächtige Unterhaltung, die aus der zeitlichen Distanz noch witziger geworden ist!
    Geändert von Bhur (02.09.2004 um 08:11 Uhr) Grund: Transrapid vergessen

  11. #11
    Moderator Digedags Forum Avatar von Uhrviech
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    Zitat Zitat von Bhur
    .... Hiermit hat man die zeitgenössische Kunst vielleicht augenzwinkernd karikiert, allerdings ohne diese abzuwerten. Ich denke Hannes Hegen und Kollektiv haben und hatten genug Kunstverständnis um auch moderne Sachen zu würdigen. Die Idee vom brotlosen Künstler der spionioniert um zu verdienen, ist da eher dem spionphobistischen Zeitgeist geschuldet. Darüberhinaus eigenete sich diese Episode für einen brillianten Wort-Bild-Witz zur Bildhauerei. ...
    Thomas Kramer beschreibt in MMM S.334/335 dieses Thema sehr ausführlich. Es wird sogar mit einem Künstlernamen gehandelt (Bernhard Heiliger, Westberlin), der evtl. als "Vorbild" für Mac Gips (bzw. seiner "Werke") gedient habe. Zuvor wird (S. 324/325) zumindest die Einstellung Drägers zur Kunst der Moderne untersucht. In einer Fußnote wird weiter angeführt, daß Nikolai Dimitriadis dieser Kunstrichtung am ehesten Sympathien entgegen brachte.
    Ich mag die Einstellung von Hegen und Dräger zur modernen Kunst selbst nicht beurteilen, aber die Nr. 29 spiegelt schon etwas mehr als ein "Augenzwinkern" wieder. Mit ihren unmißverständlichen Aussagen und Bezeichnungen der Skulpturen, dem (doppelten) Mißbrauch und ihrer Zerstörung, nimmt das Mosaik IMHO ziemlich klar in der Kunstdebatte dieser Zeit Stellung. Politisch recht bedeutsam, wenn man auch an die Forderungen denkt, die spätestens nach der "Bitterfelder Konferenz", an die Kunstschaffenden der DDR gerichtet wurden (siehe Einleitung).

  12. #12
    Moderator Digedags Forum Avatar von Uhrviech
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    Zitat Zitat von Bhur
    ... Der Name des Reporters weißt nicht nur auf Egon Erwin Kisch, sondern meiner Meinung nach auch auf (E)rasmus (von) Rotter(dam), den größten Humanisten des 16. Jahrhunderts. ...
    Aber vorrangig des Namens wegen. Na ja, vielleicht auch noch weil der Name E.v.R. als Begriff für wissenschaftliche, humanistische, rationale und skeptisch-intellektuelle Denkrichtung steht. Aber so weit wäre der fromme Erasmus von Rotterdam dann wohl doch nicht gegangen!

  13. #13
    Moderator Digedags Forum Avatar von Uhrviech
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    Zitat Zitat von Bhur
    ....Der Einschienenzug auf der Rückseite erinnert mich stark an den Transrapid, auch wenn das Antriebskonzept ein anderes ist. "Schneller und Billiger als alle bisherigen Banhnanlagen ist diese Einschienenbahn zu errichten." Schön wärs, dann könnte man schon längst von Hamburg nach Berlin sausen und umgekehrt. ...
    Überhaupt ist die Geschichte der Einschienenbahn, inkl. Transrapid, sehr interessant. Auch hier zunächst eine Einstimmung in dieses Thema.

  14. #14
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    Also ich glaube auch, daß die bürgerlich-konservative Erziehung sowohl Hegens als auch Drägers (siehe MMM) diese die moderne Kunst etwas aus einem gewissen Abstand heraus betrachten läßt. Allerdings lassen Sie sich dabei nicht von den damaligen Betonköpfen vereinnahmen (Darstellung bürgerlich-dekadenter Kunst). Mit dem Trick den Reporter sagen zu lassen, er verstehe nichts von Kunst, haben Sie eine gewisse Neutralität gewahrt.

  15. #15
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    Parallelen aus dieser Zeit findet man im web einige. Hier mal ein Beispiel. Ich denke, die Themen und der Zeichenstiel war zu dieser Zeit überall ähnlich.

  16. #16
    Mitglied Avatar von gbg
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    selbst das HB-Männchen hatte mit dieser abstrakten Kunst zu tun, zumindest im werbespot, wo es einer fliege hinterherschlägt und dabei über so eine figur stolpert, die wir aus dem mosaik kennen.
    für die berliner zwischen reichstag und str. des 17 juni befindet sich auch so eine ähnliche plastik, zumindest noch 1993, dort irgendwo gesehen.
    Geändert von gbg (02.09.2004 um 19:18 Uhr)

  17. #17
    Mitglied Avatar von Buddel-Bill
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    Zitat Zitat von Uhrviech
    Thomas Kramer beschreibt in MMM S.334/335 dieses Thema sehr ausführlich. Es wird sogar mit einem Künstlernamen gehandelt (Bernhard Heiliger, Westberlin), der evtl. als "Vorbild" für Mac Gips (bzw. seiner "Werke") gedient habe. Zuvor wird (S. 324/325) zumindest die Einstellung Drägers zur Kunst der Moderne untersucht. ... Ich mag die Einstellung von Hegen und Dräger zur modernen Kunst selbst nicht beurteilen, aber die Nr. 29 spiegelt schon etwas mehr als ein "Augenzwinkern" wieder. Mit ihren unmißverständlichen Aussagen und Bezeichnungen der Skulpturen, dem (doppelten) Mißbrauch und ihrer Zerstörung, nimmt das Mosaik IMHO ziemlich klar in der Kunstdebatte dieser Zeit Stellung. ...
    Also halt stopp mal, ich glaube ja auch, dass Hegen und seine Mitarbeiter keine besonders großen Freunde von abstrakter Kunst waren. Aber wenn einer eine klare Sprache (und Bildsprache) liebt, also etwas macht, was jeder "normale" Mensch und nicht nur er alleine (wenn überhaupt) verstehen kann, muss er deshalb in seinem Kunstverständnis reaktionär oder hinter seiner Zeit zurückgeblieben sein? Wenn er "entartete" Kunst ablehnt, braucht das auch nicht an seinem Elternhaus oder der Gesellschaftsordnung liegen, in der er aufwuchs. Im bürgerlichen Millieu wird subjektivistische Kunst ebenfalls von vielen als "krankes Zeug" empfunden (gerade neulich gesehen, in dem amerikanischen Film "Der liebeskranke Psychiater"). Die das sagten, haben deshalb noch längst nicht am Parteilehrjahr der SED teilgenommen oder das Dritte Reich miterlebt. Und ihr Blick war auch nicht durch Scheuklappen oder den Eisernen Vorhang vom "fortschrittlichen" Westen abgeschirmt. - Natürlich wäre es falsch zu schließen, dass jeder schräge Künstler ein Schwindler oder Agent des Feindes ist. Aber noch weniger richtig wäre wohl der umgekehrte Schluss: Ein nachweislich feindlicher Spion sei nur ein unverstandener progressiver Künstler. - Niemand hatte seine Botschaften verstanden, aber kaum einer sagte lange Zeit was dazu, denn im Zweifel gilt immer: "Ich verstehe überhaupt nichts von der Kunst."

  18. #18
    Moderator Digedags Forum Avatar von Uhrviech
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    @Buddel-Bill, könnte es sein, daß du mich jetzt stellvertretend zitiert hast? Deine Meinung ist ja OK, aber es wäre es nicht besser, wenn jeder sehen würde wovon du sprichst? Da nun schon 4x darauf Bezug genommen wurde, stelle ich vielleicht den MMM-Text ins Netz, oder?

  19. #19
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    Zitat Zitat von Mosaikmaxe
    Parallelen aus dieser Zeit findet man im web einige. Hier mal ein Beispiel. Ich denke, die Themen und der Zeichenstiel war zu dieser Zeit überall ähnlich.
    Ja, das sind schöne Beispiele, besonders Sunday in 2011 und Pleasent City. Die Metro Metropolis von ARTHUR RADEBAUGH, aus den beginnenden 50er Jahren, zeigt neben den typischen Rundungen noch deutlicher die Visionen der Künstler für ein Verkehrskonzept.

  20. #20
    Mitglied Avatar von Buddel-Bill
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    Zitat Zitat von Uhrviech
    @Buddel-Bill, könnte es sein, daß du mich jetzt stellvertretend zitiert hast? Deine Meinung ist ja OK, aber es wäre es nicht besser, wenn jeder sehen würde wovon du sprichst? Da nun schon 4x darauf Bezug genommen wurde, stelle ich vielleicht den MMM-Text ins Netz, oder?
    Wird wohl das Beste sein, mach mal.

  21. #21
    Mitglied Avatar von Bruno
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    @Bhur, worin siehst Du einen Zusammenhang zwischen dem Reporter Rasmus Rotter und Erasmus von Rotterdam? Nur wegen dem Namen? Meiner Meinung nach wurde damit lediglich eine Anlehnung an den "Rasenden Reporter" von Egon Erwin Kisch gesucht.

  22. #22
    Moderator Avatar von Bhur
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    Ja, den Zusammenhang sehe ich in erster Linie im Namen.

  23. #23
    Moderator Digedags Forum Avatar von Uhrviech
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    Zitat Zitat von Buddel-Bill
    Wird wohl das Beste sein, mach mal.
    Hier hast du was zum BUDDELN@BILL. Die Seiten 333-337, die sich dann konkret mit der 29 beschäftigen, folgen noch.

  24. #24
    Moderator Avatar von Bhur
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    Zitat Zitat von Thomas Kramer
    mit offiziellen Verlautbarungen der Kulturobrigkeit zur Minderwertigkeit der künstlerischen Moderne scheinen sie - wenn auch subjektiv uneingestanden - allerdings weitestgehend konform gegangen zu sein.
    Was heißt der Satz auf deutsch? Ich interpretiere mal, so wie ich ihn verstehe:
    Thomas Kramer hat Lothar Dräger bei einem seiner Interviews gefragt, ob er moderne Kunst ablehnt und Lothar Dräger hat dies verneint "subjektiv nicht gestanden".

    "...scheinen sie -(...) allerdings weitestgehend konform gegangen..." ist dann einfach nur noch Thomas Kramers Meinung, die ich so nicht teile.

  25. #25
    Moderator Digedags Forum Avatar von Uhrviech
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    Zitat Zitat von Bhur
    Was heißt der Satz auf deutsch? Ich interpretiere mal, so wie ich ihn verstehe:
    Thomas Kramer hat Lothar Dräger bei einem seiner Interviews gefragt, ob er moderne Kunst ablehnt und Lothar Dräger hat dies verneint "subjektiv nicht gestanden".
    "...scheinen sie -(...) allerdings weitestgehend konform gegangen..." ist dann einfach nur noch Thomas Kramers Meinung, die ich so nicht teile.
    Diesen Satz aus dem MMM-Kapitel 'Bild von Kunst und Künstlerbilder im "Mosaik"' hast du mMn sehr richtig interpretiert. Ich möchte Lothar Dräger auch schon zugestehen, daß er sich wohl darüber bewußt ist, wie seine Einstellung zur Kunst der Moderne in einer seiner entscheidensten künstlerischen Schaffensperioden gewesen ist.
    An anderer Stelle (MMM, S. 332) steht ja auch: "Dräger selbst ist kein intoleranter Feind jeglicher moderner Malerei. Er gesteht anderen Künstlern eigene Stilvorlieben zu; so bewundert er durchaus Max Ernst oder Picasso. Vorbildlich und verbindlicher Maßstab bleiben für ihn aber stets vormoderne Darstellungsformen ..."
    Wie immer man das jetzt auch werten soll, (liegt die Betonung auf "selbst" ?), es bleibt bei mir doch der Eindruck, daß mit der "McGips-Kunstszene" die Kultur-Oberen recht gut leben konnten.

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