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Thema: Nada

  1. #1
    Mitglied Avatar von Zardoz
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    Nada

    Wer kennt ihn nicht, den Film von Claude Chabrol: "Nada"

    Ich muss gestehen, dass der Film mir gänzlich unbekannt war. Kurze Zusammenfassung: Terroristen/Anarchisten/Revolutionäre/gescheiterte Existenzen (je nach Standpunkt) kidnappen den amerikanischen Botschafter in einem Bordell, die Lösegeldforderung wird nicht erfüllt, die Gewalt eskaliert von allen Seiten und zum Schluss sind (fast) alle tot. Wer mehr Informationen will, kann es bei Wikipedia nachlesen:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Nada_(1974)

    Die folgende Kritik (ebenfalls bei Wikipedia nachzulesen) analysiert den Film zutreffend und bringt es auf den Punkt:

    'Deutlich jedoch verurteilt Chabrol beide Seiten. Diese Anarchisten sind frustrierte, einsame, kaputte Leute: Nihilisten ohne jene pragmatische, ideologisch abgesicherte Verbissenheit, die Costa Gavras in seinem thematisch vergleichbaren Film ‚Der unsichtbare Aufstand‘ den Attentätern zugestand ‚Ich bin gegen die Gewalt‘, sagt Chabrol, ‚die Gewalt von Terroristen, die manchmal aus edlen Motiven erfolgt, und die manchmal unproportionierte Gewalt der Repression. Ich bin gegen das absurde Räderwerk, das zur Eskalation auf beiden Seiten führt …‘ Aber die Analyse, dialektisches Denken und eine psychologische Motivation waren nie Chabrols starke Seite; er denkt in Situationen, Konstellationen, genüßlich und sarkastisch arrangierten Bildfolgen, in sinnlichen, optischen, filmischen Kategorien ‚Nada‘ trudelt wie ein knallbunter Comic Strip, mit Spannung und Aktion geladen, bis zum infernalischen Ende und reißt dabei auch jede Reflexion mit sich fort. Am Schlußdesaster hat der bürgerliche Ästhet Chabrol schon wieder formales Vergnügen: ‚Ein shakespearesches Ende — alle Hauptfiguren des Dramas finden den Tod‘“ (Zitat von Wolf Donner in Die Zeit)

    Nun kann man sich fragen: "warum diese lange Einleitung? Was hat dieser Film mit dem Comic zu tun?" Die Antwort erschließt sich demjenigen sofort, der beide Werke gelesen bzw. angesehen hat. Inhaltlich gibt es nur wenig Unterschiede zwischen Film und Comic. Ich habe mir den Film (bei YouTube in der französischen Originalfassung mit englischen Untertiteln) angeschaut und hatte trotz fehlender Sprachkenntnisse im Französischen überhaupt keine Schwierigkeiten inhaltlich zu folgen, weil der Comic szenisch identisch aufgebaut ist. Es entsteht der Eindruck, dass unmittelbare Vorlage für den Comic nicht der Roman, sondern der Film war. Diese Frage würde ich gerne einmal Doug Headline, dem Autor des Comic stellen, der ausweislich der Rückseite des Albums, Sohn von Jean-Patrick Manchette ist, dem Verfassers des Romans „Nada".

    Was hat mir besser gefallen, Film oder Comic? Die Antwort ist einfach: eindeutig, ohne jede Einschränkung der Comic!

    Nach dem ersten Lesen für mich ein ganz heißer Anwärter auf den Titel "Bester Comic 2019", auf jeden Fall unter den Top 5 des Jahres. Warum? Wegen des überragenden Artworks und der gelungenen Transformation der Geschichte, die Anfang der 70er Jahre spielt, in eine zeitgemäße Version bzw. Interpretation.

    Cabanes soll in Frankreich ein Star der Szene sein (so Splitter). Jetzt kann ich nachvollziehen warum. Derart eindringliche Bilder sieht man selten. Die Zeichnungen sind sensationell gut. Wer (zurecht) den "Indienschwindel" auch wegen der Gesichter lobt, die unterschiedlichste Emotionen erkennen lassen, der wird ebenfalls an den großartigen Charakterstudien von Cabanes gefallen finden. Besser kann man nicht zeichnen.


    Der Comic ist wie ein Film noir. Klassisch die Erzählstimme im Hintergrund (die im Film fehlt!). Zynische Protagonisten, desillusioniert, depressiv wissend, im Leben nichts erreicht zu haben. Auffällig sind die Unterschiede zum Film. Im Comic sind nicht nur einfach die Schauspieler nachgezeichnet. Cabanes löst sich visuell von den Bildern des Films und erschafft seine eigene Welt. Die Zeichnungen treffen die Charaktere deutlicher besser. Alles wirkt frisch, natürlich, zeitgemäß. Die Vorstellung von einem Edelbordell für die Upperclaas einschließlich der Edelhure ist heute eine andere als noch zu den Zeiten der Dreharbeiten. Auch das Aussehen der Femme fatale der Gruppe entspricht dem aktuellen Zeitgeist. Damals war eher der Jean Seberg-Typ (wie in Außer Atem) angesagt. Dementsprechend trägt Cash im Film auch den damals modischen Kurzhaarschnitt. Der Comic kommt einer Neuverfilmung nahe. Nur, dass diese Neufassung viel, viel besser ist.

    Man kann den Comic auch für sich lesen. So wie ich es zunächst gemacht habe. Dann ist es "einfach nur" eine unglaublich gut und spannend erzählte Geschichte, die von grandiosen Bildern getragen wird. Ich habe den Band fast in einem Zug durchgelesen, weil er mich derart gefesselt hat, dass ich nicht loslassen konnte.

    Fazit: Unbedingte Leseempfehlung! 10 von 10 Punkten.



    Geändert von Zardoz (19.10.2019 um 11:06 Uhr)

  2. #2
    Mitglied Avatar von CHOUETTE
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    Vielen Dank für deine, wie immer, wunderbare Rezi, Zardoz! "Nada" stand zwar ohnehin auf meiner Liste für die nächste Bestellung, aber deine Besprechung sorgt dafür, dass diese wohl vorgeschoben werden muss. Das klingt nach einem Comic ganz nach meinem Geschmack.
    Fasse dich kurz! Nimm Rücksicht auf Wartende!

  3. #3
    CF Unterstützer Avatar von Gagel
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    Ich kenne den Film nicht, er hat mir aber auch nicht gefehlt, denn er lief in meinem Kopf ab. Ein 5 Sterne Comic!

  4. #4
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    Wie immer habt ihr mir wieder den Mund wässerig gemacht. Werde also auch zuschlagen.
    Schöne Grüsse aus dem Kohlenpott


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